Gelesen: „Der unerfüllte Kinderwunsch. Interdisziplinäre Perspektiven“

Gelesen habe ich dieses Buch bereits kurz nach seinem Erscheinen. Und auch wenn es inzwischen nicht mehr druckfrisch auf meinem Bücherstapel liegt, hat es doch verdient, hier ausführlicher vorgestellt zu werden. Aktuell sind die Inhalte allemal noch.

Mayer-Lewis-Unerfüllter Kiwu

Unerfüllter Kinderwunsch ist nicht nur ein Raum einnehmendes Thema bei den Menschen, die es persönlich betrifft, sondern inzwischen auch zunehmend Gegenstand der Forschung. Fachleute aus verschiedenen Bereichen untersuchen dieses komplexe Phänomen aus ihrer Perspektive, Mediziner beschäftigen sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin, Juristen mit deren rechtlichen Aspekten, Soziologen und Politiker mit den individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Familiengründung mit Hilfe der Reproduktionsmedizin. Die Herausgeberinnen des Bandes „Der unerfüllte Kinderwunsch. Interdisziplinäre Perspektiven“ haben sich zum Ziel gesetzt, diese aus unterschiedlichen Richtungen kommenden Erkenntnisse zu bündeln und einen fachübergreifenden Ansatz zu bieten.

Dr. Birgit Mayer-Lewis ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg, und Dr. Marina Rupp die stellvertretende Leiterin des Institutes. In ihren Forschungsprojekten war der unerfüllte Kinderwunsch oft „ein zentraler Anlass der Auseinandersetzung“, wie die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort schreiben. So entstand die Idee, interdisziplinär an dieses komplexe Thema heranzugehen.

In dem Buch geht es nicht explizit um Singlefrauen. Nur an wenigen Stellen wird überhaupt erwähnt, dass auch Singlefrauen zu dem Personenkreis mit einem unerfüllten Kinderwunsch gehören, vor allem in den Kapiteln, in denen es um praktische Erfahrungen in der Beratungsarbeit geht. Dennoch sind die fundierten Informationen in diesem Buch gerade auch für Singlefrauen spannend, sei es zur rechtlichen Lage oder zur Haltung der Krankenkassen. Und bei den medizinischen und biologischen Grundlagen der Reproduktionsmedizin macht der Familienstand einer Frau sowieso keinen Unterschied.

Die Autoren der einzelnen Kapitel sind allesamt Experten mit langjähriger Erfahrung auf ihrem Gebiet. Aus medizinischer Sicht wird das Thema in den drei ersten Kapiteln beleuchtet. Zuerst werden die derzeit üblichen und möglichen Methoden der Reproduktionsmedizin im Allgemeinen vorgestellt. Jeweils ein Kapitel beschäftigt sich danach aus Sicht einer Gynäkologin und eines Andrologen mit der weiblichen und der männlichen Fruchtbarkeit.

Drei weitere Kapitel widmen sich den rechtlichen Fragen im Zusammenhang bei einer Kinderwunschbehandlung. Aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen wird erläutert, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang gesetzliche Krankenkassen Maßnahmen der Kinderwunschbehandlung finanzieren. Aus juristischer Sicht werden die rechtlichen Bedingungen der Methoden Gameten- und Embryonenspende und Leihmutterschaft, konkret in Bezug auf das deutsche Rechtssystem dargestellt. Im darauf folgenden Kapitel wird, ebenfalls aus juristischer Perspektive, das Verbot der Leihmutterschaft in Deutschland und in Österreich verglichen. Die Autorin zeigt unterschiedliche Szenarien auf, ausgehend davon, dass österreichische oder deutsche Wunscheltern eine ausländische Leihmutter beauftragen, und stellt die rechtlichen Folgen dar.

Um den ethischen Aspekt der Familiengründung mit Hilfe der Reproduktionsmedizin geht es unter dem Titel „Unvermeidliche Ambivalenzen“. Gefragt wird, wie Eltern und Kinder mit dem Recht des Kindes, Kenntnis über seine Herkunft zu erhalten, umgehen. Die Werte – oder Güter, wie der Autor es nennt – „Familie“ und „Elternschaft“ und deren Relevanz bei der Persönlichkeitsentwicklung werden diskutiert. Das nächste Kapitel stellt die Besonderheiten der Familiengründung bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften dar.

Den Abschluss des Sammelbandes bilden zwei Kapitel zur Beratungssituation bei unerfülltem Kinderwunsch. Zuerst werden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts „SARA“ präsentiert, der Fokus liegt dabei auf dem Erleben der Betroffenen und deren Beratungsbedarf. Das letzte Kapitel bezieht sich dann konkret auf psychosoziale Kinderwunschberatung, die sich in den letzten 10, 15 Jahren zu einer eigenen Richtung in der Beratungspraxis etabliert hat, und zeigt vor allem zukünftig zu erwartende Tendenzen auf.

Der Sammelband ist eine wissenschaftliche Publikation, aber dennoch für den gebildeten Laien gut verständlich. Den Experten der unterschiedlichen Fachgebiete gelingt es ausnahmslos, fokussiert auf den Punkt zu kommen und darzustellen, welche Schwerpunkte und Probleme jeweils im Spannungsfeld ihres Faches und des unerfüllten Kinderwunsches liegen. Wie in wissenschaftlichen Publikationen üblich, ist jeden Kapitel eine kurze Zusammenfassung voran- und ein ausführliches Literaturverzeichnis nachgestellt.

Wer sich einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand in Deutschland machen möchte, für den ist dieses Buch ein Muss. Wünschenswert für die Praxis wäre, wenn sich Experten der einzelnen Fachgebiete, seien es Mediziner, Juristen, Ethiker oder Berater, gründlich mit den Inhalten aus den für sie fachfremden Gebieten beschäftigen würden. Dieser Sammelband bietet die Grundlage dafür, dass sich Fachleute ein fachübergreifendes Wissen aneignen und in der Praxis umsetzen können.

Bibliografische Angaben:

Birgit Mayer-Lewis und Marina Rupp (Hrsg.): Der unerfüllte Kinderwunsch. Interdisziplinäre Perspektiven. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, 2015.

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